Queere Stimmen verstärken

Amplifying queer voices

Vom 20. Bis 26. Juli 2022 wird in der ersten Aesop Queer Library in Berlin eine temporäre Büchersammlung von LGBTQIA+ Autor*innen vorgestellt, die den Besucher*innen ein Buch ihrer Wahl kostenlos zur Verfügung stellt. Die Initiative, die nun schon im zweiten Jahr stattfindet, basiert auf dem Glauben an die Kraft des queeren Geschichtenerzählens – ihre Fähigkeit, den Horizont zu erweitern, Menschen zu ermutigen und die Community und ihre Verbündeten zu vereinen.

Die Auswahl reicht von Romanen über Gedichtbände bis hin zu Memoiren und besteht aus Büchern, die in den Buchhandlungen Prinz Eisenherz und Anakoluth gekauft wurden – zwei lokalen Geschäften, die queer-freundliche Orte sind, in denen man das ganze Jahr über LGBTQIA+ Geschichten erzählen und entdecken kann. Die Bibliothek umfasst ein breites Spektrum an Autor*innen und zeigt, wie sich die queere Literatur entwickelt hat, um die vielfältigen Erfahrungen innerhalb der Community zu reflektieren. Wer sich nicht sicher ist, für welchen Titel man sich entscheiden soll, dem stehen die bibliophilen Mitarbeitenden von Aesop mit persönlichen Empfehlungen zur Seite.

Die Literaturliste

Die Sammlung umfasst Werke, die ein breites Spektrum von Genres und eine Vielzahl von Stimmen abdecken, darunter "Portrait" von Jürgen Bauer, "The Thirty Names of Night" von Zeyn Joukhadar und "Die Marschallin" von Zora del Buono – im Folgenden teilen diese Autor*innen ihre Gedanken über die Bedeutung von queerem Erzählen und Repräsentation in der Kunst.

Zeyn Joukhadar über Chancen für neue queere Schriftsteller*innen

Zeyn Joukhadar ist der Autor der Romane "The Map of Salt and Stars" und "The Thirty Names of Night" und Mitglied des Radius of Arab-American Writers. Neben vielen anderen Auszeichnungen wurde "The Thirty Names of Night" mit dem Barbara Gittings Stonewall Book Award 2021 und dem Lambda Literary Award 2021 in Transgender Fiction prämiert. Es erzählt die Geschichte eines verschlossenen syrisch-amerikanischen Trans-Jungen, der seinen Geburtsnamen ablegt und einen neuen sucht – eine Reise, die ihn zu Entdeckungen über die Vergangenheit seiner Familie und über sich selbst führt.

Portrait of author, Zeyn Joukhadar

Welche Rolle haben queere Geschichten in Ihrem Leben gespielt?  Viele der Bücher, die mein Leben als queere, arabische und muslimische Transperson erleichtert haben, sind Werke, die Queerness und Trans-Sein fast nur aus dem Augenwinkel betrachten. Ich liebe die Romane und Geschichten, deren Blick selbst queer ist, in dem Sinne, dass sie meinen Geist und mein Herz für eine weitreichendere Vorstellung davon öffnen, was die Welt ist und sein kann – und gleichzeitig ihren queeren und Transpersonen erlauben, ein vollständiges, dreidimensionales Leben zu führen, das sich nicht nur um Tragödien oder um Queerness dreht. Welches Buch würden Sie gerne allen queeren Menschen in diesem Land auf magische Weise zukommen lassen? Kann ich mehr als einen Wunsch haben? In den letzten Jahren hatte ich das Glück, an zwei großartigen Anthologien mitzuwirken, von denen ich mir wünsche, dass jede queere und transsexuelle Person sie lesen kann (vor allem, weil ich mir wünschte, ich hätte sie gehabt, als ich jünger war): "Kink: Stories", herausgegeben von R.O. Kwon und Garth Greenwell, und "This Arab Is Queer", herausgegeben von Elias Jahshan. Welche Organisationen würden Sie angehenden Schriftstellern aus marginalisierten Gruppen empfehlen? Einige Organisationen, die ich durch mein Engagement kenne, sind das Periplus Collective, mit dem ich in den letzten zwei Jahren aufstrebende BIPOC-Schriftsteller*innen als Mentor betreut habe, und der Radius of Arab American Writers (RAWI), in dessen Vorstand ich derzeit bin. Beide Gruppen bieten Schriftsteller*innen und Kulturschaffenden, darunter auch queeren und transsexuellen Schriftsteller*innen, umfangreiche Unterstützung in Form von Mentoring, Workshops, Diskussionsrunden und – im Fall von RAWI – auch in Form von zweijährlichen Konferenzen. Außerdem unterrichte ich dieses Jahr Belletristik sowohl bei Lambda Literary, das viele großartige Programme für queere Autor*innen anbietet, als auch bei Roots. Wounds. Words, einem Raum für BIPOC-Autor*innen, der auch Queerness und Transness auf eine sehr bewusste Weise in den Mittelpunkt stellt. Alle diese Gruppen leisten großartige Arbeit und sind es wert, unterstützt zu werden!

Zora del Buono über Möglichkeiten für queere Menschen

Zora del Buono wurde 1962 in Zürich geboren und lebt seit 1987 in Berlin. Ihr neuester Roman "Die Marschallin" handelt von ihrer Großmutter, einer wohlhabenden kommunistischen Kämpferin in Italien, deren viele Widersprüche im Leben sie zu einer fesselnden Figur gemacht haben. Ein ganzes Kapitel spielt auf einer kleinen italienischen Insel, auf die Mussolini während des Zweiten Weltkriegs schwule Männer verbannte. Diese Insel war ein Gefängnis, aber auch ein Moment der schwulen Freiheit für die Männer. Das Buch wurde bisher ins Niederländische und Slowenische übersetzt, und die italienische Übersetzung wird im September 2022 erscheinen.

Portrait of Zora del Buono.

Welche Fragen möchten Sie mit Ihrer Arbeit bei den Leser*innen auslösen?  Eine weise Frau hat mir einmal gesagt: "Ein Leben ist dann erfolgreich, wenn du der Mensch wirst, der du bist, und nicht der Mensch, den deine Eltern sich wünschen. In meinen Büchern geht es oft um Familiengeheimnisse. Ich denke, es ist gut, sich den Geistern der Vergangenheit zu stellen und zu wissen, woher man kommt. Dann kann man entscheiden, wohin man gehen will. Welches Buch würden Sie gerne allen queeren Menschen in diesem Land auf magische Weise zukommen lassen? "Maurice" von E.M. Forster. "Maurice" wurde 1913 geschrieben und 1960 überarbeitet, aber erst nach Forsters Tod 1977 veröffentlicht, da er den Roman aus Angst vor einem Skandal geheim gehalten hatte. Die Geschichte spielt im späten viktorianischen England, als Homosexualität sowohl als Verbrechen als auch als Krankheit galt, und endet glücklich; Forster schrieb, er wolle nicht, dass "der Held scheitert". "Maurice" gibt zumindest eine kleine Hoffnung, dass sich die Gesellschaft ändern kann. Was würden Sie Ihrem Teenager-Ich heute sagen?  Dass man niemals "nie" sagen sollte. Die Dinge können sich immer anders entwickeln, als man denkt.

Jürgen Bauer über sich verändernde Identitäten

Jürgen Bauer, geboren 1981, arbeitet als Schriftsteller und Journalist in Wien. Er war Teilnehmer des Programms "Neues Schreiben" des Burgtheaters Wien, Residenzautor am Literarischen Colloquium Berlin und nahm 2017 am von Peter Blackstock kuratierten Festival "Neue Literatur" in New York teil. 2013 veröffentlichte er seinen ersten Roman "Das Fenster zur Welt"; sein neuester und vierter Roman "Porträt" befasst sich mit der schwulen Geschichte Österreichs.

Portrait of author, Jürgen Bauer.

Welche Fragen möchten Sie mit Ihrer Arbeit bei den Leser*innen auslösen?  Eigentlich tue ich das nicht, nicht wirklich. Die Pride-Feiern sind mir zu kommerziell geworden, obwohl ich sie immer noch für wichtig halte. Also lese ich schwule Literatur - im Moment Douglas Stuarts "Young Mungo".  Gibt es queere Orte oder Organisationen, die Sie empfehlen würden?  Die queere Buchhandlung Löwenherz in Wien. Orte wie dieser sind wichtig, aber es gibt immer weniger davon. Buchläden sind das Herzstück des literarischen Lebens, und queere Buchläden sollten für immer existieren. Was würden Sie Ihrem Teenager-Ich heute sagen?  Nutze jede Gelegenheit, um Spaß und Sex zu haben und das Leben zu leben.